METIS

1. Bericht in der Connection - Teil 2

THE WORK oder: Wie erkenne ich mich selbst?

Zeichnung von Meister Kopp: Er zeigt Moritz wo's langgeht

In connection 10/96 und 2/97 berichtete Moritz Boerner bereits über den Wiesbadener Künstler Wolfgang Kopp, der sich Zen Meister nennt. Kopp und Boerner kennen sich aus ihrer Schulzeit, und so war Moritz zunächst ziemlich verblüfft, seinen alten Kumpel "Woody" nun als Zenmeister wieder zu finden, umgeben von einer Schar hingebungsvoller Schüler. Die Begegnung löste allerdings in Moritz nicht nur Freude aus: In dem Artikel setzte er sich sehr kritisch mit seinem ehemaligen Freund auseinander, zweifelte dessen Erleuchtung an und bezeichnete ihn als Scharlatan. Etwa ein Jahr später traf Moritz die unter Insidern als erleuchtet geltende Amerikanerin Byron Katie und lernte von ihr eine Methode, die es jedem Menschen ermöglicht, seine Beurteilung der Außenwelt in Selbsterkenntnis umzuwandeln. Im folgenden erzählt Moritz, wie er diese Methode auf seinen Streit mit Kopp anwandte, um zu der dahinterliegenden Wahrheit zu gelangen.

Die connection bat mich, eine 55jährige, angeblich erleuchtete Amerikanerin namens Byron Katie zu interviewen und an einem ihrer Workshops in München teilzunehmen. Das Seminar drehte sich um das Thema Wahrheit. Dementsprechend fragte Byron Katie am Anfang alle Teilnehmer, ob sie wirklich die Wahrheit über sich selbst herausfinden wollten. Natürlich, dachte ich mir, sonst wäre ich nicht hier.
Allerdings: Die Wahrheit, die sich mir später eröffnete, hatte ich mir doch ein wenig anders vorgestellt.

Bei dem Erkenntnisprozess, der sich "The Work" nennt, sollten wir einiges über eine beliebige Person aufschreiben, mit der wir ein Problem haben oder hatten. Für die Aussagen gab es einen vorgedruckten Zettel, mit Sätzen wie "Ich bin ärgerlich auf (Name der Person), weil sie/er..." oder "Ich will, dass (Name der Person) sich folgendermaßen ändert...", "Ich denke über (Name der Person), dass sie/er... ist" (am besten eine Liste mit den Eigenschaften anfertigen). Die letzte Aussage begann mit: "Ich will mit (Name der Person) nicht wieder erleben, dass ...."

"Don't be spiritual!"

Katie bat uns eindringlich, den Mut aufzubringen und schonungslos alles aufzuschreiben, was uns in den Sinn kommt — auch wenn es unfreundlich, unspirituell ("Don't be spiritual!"), hässlich und kindisch sei.
Da ich bereits so viel über Meister Kopp geschrieben und nachgedacht hatte, schien es mir am einfachsten, diese Untersuchung am Beispiel meiner Auseinandersetzung mit seiner Person durchzuführen.
Nachdem ich alle meine Beschuldigungen und Bewertungen niedergeschrieben hatte, sollte ich jeweils vier Fragen zu jedem dieser Statements wahrheitsgemäß beantworten.
Die erste Frage lautete: "Ist es wahr?" im Sinne von "Ist es passiert, ist es Realität?" Diese Frage konnte ich meist mit Ja beantworten und merkte an meinem Ärger, wie sehr und wie oft ich mit vergangener Realität auf Kriegsfuß stand. Die zweite Frage lautete: "Kannst Du wirklich wissen, dass es wahr ist?", und ich musste ehrlich antworten: "Nein, ich kann es nicht wissen".
Ich konnte nämlich im Grunde nicht beurteilen, ob Meister Kopp zum Größenwahn neigt, wie ich es in connection geschrieben hatte. Ich konnte nicht wirklich beurteilen, ob er seine Schüler gegeneinander ausspielt, ob er ihnen Versprechungen macht, die er dann nicht einhält, wie ich behauptet hatte. Ich wusste vieles nur vom Hörensagen, hatte interpretiert, gemutmaßt. Auf meinem Anschuldigungs-Zettel stand: "Ich mag Meister Kopp nicht, weil er laut telefoniert, während seine Schüler meditieren". Aber nicht einmal das konnte ich wirklich wissen; es hätte ein Tonband sein können, das er nur laufen ließ, um mich zu provozieren.

Ärger mit Kopp

Zeichnung von Meister Kopp: Er zeigt Moritz wo's langgeht

Ich war im Grunde ärgerlich auf Kopp, weil er mir nicht die Anerkennung gab, die ich verdiene, weil er mich nicht einlud, wieder in seine Gruppe zu kommen, weil er mich vermeintlich nicht als Freund und Partner, ja als göttliches Wesen anerkannt hatte.

Besonders geärgert hatte ich mich über seine Behauptung, Osho sei in ihn hineingestorben und er, Kopp, sei der wiedergeborene Lao Tse, der einzige Weltenlehrer.

Konnte ich wirklich wissen, dass das unwahr ist? Nein. Aber um die Wahrheit seiner Behauptungen geht es letzlich gar nicht. Denn seine Aussagen über sich selbst sind nicht mein "business", wie Katie sagt; schließlich ist es Kopps Sache, ob er sich selbst als Weltenlehrer sieht. Zeichnung von Meister Kopp: Moritz fällt auf die SchnauzeAuf einmal fiel mir auch ein, dass er selbst ein paarmal zu mir gesagt hatte: “Moritz, was kümmert es dich, ob ich erleuchtet bin? Es geht schließlich um deine Erleuchtung!"
Die dritte Frage von Byron Katies "The Work" lautet: Was habe ich davon, dass ich an meinem Glauben festhalte? Eigentlich nur Ärger, denn der Glaube an jede einzelne meiner Behauptungen über Kopp vermittelte mir ein unangenehmes Gefühl. Ich stand unter Stress und Spannung, weil ich etwas wollte, etwas ablehnte, etwas verdrängte, die Realität nicht anerkannte, wie sie war.

Wer wärst Du ohne den Glauben an diese Behauptungen über Meister Kopp? Ich wäre freier, fröhlicher, lockerer, lustiger, geradezu erleichtert, von einem unbestimmten Druck befreit.

Die Umkehrung

Der wichtigste Schritt liegt nun in der Umkehrung der auf meinem Zettel für "The Work" niedergeschriebenen Behauptungen über Meister Kopp. Das heißt: Ich nehme die Projektion zurück, richte alle meine Beschuldigungen gegen mich selbst, denn die Wahrheit hinter meinen Vorwürfen heißt: Ich bin das alles, was ich im Außen nicht mag. Das Außen ist meine verleugnete Seite, die ich an mir nicht sehen will, die ich an die Außenwelt delegiert habe. Das heißt auf meinen Schlagabtausch mit Meister Kopp bezogen: "Ich sage heute dies und morgen jenes. Ich spiele Leute gegeneinander aus, ich mache Versprechungen, die ich nie einhalte. Ich beleidige, ich habe wohl nicht verstanden, was ein Meister ist, ich bin ein geiler alter Bock, ich bin einer, der andere braucht, um jemand zu sein, ein vergammelter Trinker, ein verrückter Spinner, ein Möchtegernguru, einer, der sich gerne labern hört, einer der nur auf Anerkennung und Ruhm aus ist." Das also bin ich auch! Schöne Aussichten. Zeichnung von Meister Kopp: Nun sind es zwei Verrückte - offene Weite, nichts von heilig.

Das Ego und der Job des Meisters

Ich musste leider einsehen, dass ich tief in mir hundertprozentig weiß, dass das alles zutrifft. Ich hatte sogar selbst mehrfach die Phantasie gehabt, schon mal als Jesus oder Buddha gelebt zu haben. Mit erschreckender Klarheit wurde mir bewusst, dass Meister Kopp mir buchstäblich mein eigenes Inneres gezeigt hatte — und das ist ja schließlich der Job eines Meisters.
Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich mich schon seit langer Zeit mit diesen Mechanismen beschäftige, dass ich glaubte, sie seien mir vertraut, dass ich sogar in meinem Artikel in der connection geschrieben hatte, es könne sich vielleicht in meinen Vorwürfen gegen Kopp um mein Ego handeln, das mir da einen Streich spielte. Ich weigerte mich allerdings noch, das glasklar zu durchschauen. Im übrigen hatte der Meister mir gegenüber genau dies immer hervorgehoben — aber ich musste es wohl erst mit meinem Herzen akzeptieren und sehen.

Mir selbst Anerkennung geben

Umgedrehte Richtigstellungen wie "Ich bin enttäuscht von mir, weil ich nicht tue, was ich will, weil ich mir nicht die Anerkennung gebe, die ich verdiene" können wir noch weiter differenzieren und so den Erkenntnisprozess vertiefen: "Anstatt mein Leben zu genießen und wirklich zu tun, was ich will, beschäftige ich mich mit fremden Angelegenheiten und vergifte mich selbst mit unangenehmen Gedanken über andere." Anstatt mich selbst anzuerkennen, erwarte ich Anerkennung von anderen. Ein Leben, das darauf ausgerichtet ist, Anerkennung und Liebe von anderen zu bekommen, ist die Hölle. Es macht mich zu einem kriechenden, fremdbestimmten, schwanzwedelnden kleinen Tier, das winselnd um etwas bettelt, das noch nie ein Mensch wirklich bekommen hat, denn die anderen wollen ja alle dasselbe. Liebe und Anerkennung kann ich mir hingegen selbst sehr wohl geben, aber dazu gehören eine gewisse Freiheit des Denkens, Unabhängigkeit von der Meinung anderer und das Gefühl des eigenen Wertes. Ich hatte sehr wohl gesehen und sogar geschrieben, dass Meister Kopp genau dies alles besitzt, es mir selbst hingegen komischerweise bisher versagt.
Ich schließe die Augen und vergegenwärtige mir, wie ich mich fühle, wenn ich mir selbst Liebe und Anerkennung gebe: ein großes, ein erhabenes Gefühl. Ich bin ein Gott, der über die Weite seiner inneren Welt gebietet, keine Wanze mehr, die unter fremden Teppichen kriecht und dort von Abfällen lebt.

Befreiende Witze

Ich freue mich darauf, noch einmal dabeizusein, wenn Meister Kopp behauptet: "Osho ist in mich hineingestorben, ich bin der einzig wahre Weltenlehrer". Jetzt erscheint mir dieser Satz ungeheuer witzig und befreiend. Ja, darauf freue ich mich! Es ist ja nur ein Satz, es ist seine Angelegenheit, nicht meine. Ich weiß nicht einmal, ob er das überhaupt ernst meint.
Und war die große Pistole, die er auf mich richtete, als ich ihn einmal im Tarnanzug in Wiesbaden im Straßencafe sitzen sah, nicht nur ein zeitgemäßer Zen-Stock? ("Ist eh' nur Schreckschuss", hatte mir der Kellner zugeflüstert).
Nach meinem "Work"-Prozess soll ich mir vorstellen, dem Menschen Kopp ohne meine Geschichte gegenüberzutreten und ihn nur anzuschauen. Ich sehe sein verschmitztes Gesicht, und ich sehe Gott, ich sehe einen Buddha. Ohne meine eigene Geschichte kann ich auch die Liebe zwischen uns fühlen, vielleicht sogar, dass wir beide Liebe sind. Ohne die Brille meines Egos bin ich wie ein neugeborenes Kind, das lächelt, weil es eine Blume sieht. Es geht nicht darum, was er macht und wer er ist, ich sehe in ihm nur den Menschen.
Ich habe erkannt, dass ich damals nicht über Meister Kopp schrieb, sondern einzig und allein über mich.

Ich kann nichts wissen, ich kann mich nur spiegeln

Meister Kopp soll sehr gelacht haben, als er den Entwurf zu diesem Artikel las. Und er soll gesagt haben: 'Der Moritz darf aber trotzdem nicht wieder in die Sangha kommen, sonst haben wir hier zwei Verrückte".
Das Gefühl, mit ihm auch noch über den Artikel zu sprechen, tat mir gut — ich fühlte mich entspannt wie nie zuvor. Er meinte, dass eigentlich alles wahr sei, was ich über ihn geschrieben hatte — er habe mich nur rausschmeißen müssen, weil es einem Schüler nicht anstehe, dem Meister Ratschläge zu erteilen.
Dennoch ist er in meiner Welt zu einem lachenden Buddha geworden, den ich sehr liebe und in dessen Büchern ich immer wieder lese. Ich kann einfach nichts über ihn wissen, ich kann mich nur immer und immer wieder in ihm spiegeln.
Ich weiß, wie alle spirituell Interessierten, schon lange um die grundlegende Wahrheit, dass ich mich mit jeder Wertung, mit jeder Beschuldigung nur selbst meine. Aber ich sehe jetzt täglich, indem ich "The Work" praktiziere, dass dieser Mechanismus ständig greift. Ich bin das Auto, das mir auf dem Gehsteig im Wege steht, ich bin der Fahrer, der mich auf der Autobahn bedrängt, ich bin der Schmutz, der Mörder, der Krieg.
Wenn ich mich über diese Dinge ärgere, werde ich mehr und mehr Teil von ihnen, sie finden dann genau in mir statt — ohne diese Konzepte bin ich hingegen Gott, der den Tanz der Atome beobachtet, gelassen und frei.

Aus "Connection 11-12/98 Moritz Boerner

1. Bericht in der Connection Teil 1 (Byron Katie - Du bist Ich und Ich bin Du

1. Bericht in der Connection Teil 2 (Meister Kopp - Auch das bin ich! THE WORK oder wie erkenne ich mich selbst?)

3. Bericht in der Connection (Spiegelbilder Gottes auf der Suche nach Liebe und Anerkennung