Brief an meine Mutter

METIS Im Jahre 1995 rief man mich aus München nach Wiesbaden ans Sterbebett meiner Mutter, die an PolyartDecalcomanie von Margot Börnerhritis, Osteoporose, Herz- Lungenproblemen und einem akuten blutenden Zwölffingerdarmgeschwür litt. Es war die Zeit kurz vor der Buchmesse und der Kalender mit ihren Bildern und dem Titel “Zeit zum Leben” (!) erschien an diesem Tag.

Als ihre Verlegerin an ihrem Krankenbett saß und sie ihre Malereien gedruckt sah, erholte sie sich wieder (die Ärzte sprachen von einem Wunder) und wurde drei Wochen später aus dem Krankenhaus entlassen. Obwohl unser Verhältnis nie sonderlich gut gewesen war, bot ich ihr an, einen Versuch zu wagen, und sie zu Hause weiter zu pflegen, während ich gleichzeitig an der Entwicklung meines spirituellen Multimedia-Projekts “ MagicWorks” arbeitete. Daraus wurde ein sehr schönes, sehr wichtiges Jahr, in dem ich einen bisher fast unbekannten Menschen kennen und lieben lernte, ein Jahr, in dem ich nicht ein einziges Mal krank wurde, mich mehr geborgen, gebraucht und geliebt fühlte, als je mit einer Frau. Wir führten fast so etwas wie eine seltsame Ehe.

Dann starb sie und ich schrieb ihr den folgenden

Brief an meine Mutter

Ich schlendere, ich gleite, ja, ich schwimme, dicht über dem Grund dieses Meeres aus Luft. Die kleinen Rosen dort, blühten sie seit Tagen schon? Und die Häuser, so hell, sind sie frisch gekalkt? Standen dort Gerüste in der letzten Zeit, von mir unbemerkt, waren dort Handwerker beschäftigt, die diese doch so hässlichen Missgeburten der fünfziger Jahre wieder auf Vordermann brachten? Hier wuchs ich auf und hier ging ich seit fast einem Jahr wieder, an vielen Tagen, unbewusst, in Träumen versunken.

Vierundzwanzig Stunden ist es nun her.

Jetzt gehe ich an schöneren Häusern aus der Jugendstil-Zeit vorbei, dies war mein Weg zum sonntäglichen Gottesdienst. Eine Gegend für Studenten, junge Paare, Linke, Literaten.

Ein alternativ wirkendes Café, draußen stehen Stühle. Plötzlich sieht es so einladend aus, die Stimme in mir sagt: “Setz Dich doch, ruh Dich aus, hast es verdient.”

Einfach nur dasitzen und in die Luft schauen, nach den Mädels, nach den Hunden der alten Frauen, nach den Katzen! Lausche auf die Gespräche, denke nicht, streck Dich, genieße die Sonne, die Dir plötzlich auf den Pelz scheint, im wahrsten Sinne des Wortes, so dass Du ihn ausziehst. Ein junges Mädchen lächelt mich an, das gab es schon lange nicht mehr!

Mutter ich danke Dir, ich danke Dir!

Sicher allzuviel ist geschrieben über das Gefühl des Endgültigen, dass Du nie nie wieder da sein wirst, dort liegen wirst, ich mit Dir sprechen kann. Und dennoch: Es ist ein wichtiges, ein einmaliges, ein unendlich schmerzendes Gefühl. Man kann es wohl betäuben mit Gedanken, mit Träumen, mit Schreiben(!), durch Hören der Tonbänder mit Deiner Stimme, auf denen Du so unendlich wenig und doch so unendlich viel sagst:

“Versuche nicht die Welt zu ändern, ändere Dich selbst – das ist für viele zu stark. Es genügt zu sagen: ändere Deinen Blickwinkel, schau mal alles mit anderen Augen an. Wenn ich etwas mit anderen Augen sehe, ändert es sich auch schon, ich brauche mich gar nicht selbst ändern.”

Und:

“Es war trotz allem ein schöner Tag, und wenn es heute gut war, war es auch gestern gut und ist auch morgen gut.”

Der dreizehnte war Dein letzter Tag in diesem Leben und Du hast so ordentlich alles abgeschlossen. Sogar Dein letzter Lotto-Dauerschein endet heute.

Liebste, das obige habe ich geschrieben, kurz danach, als plötzliche Trauer (als ich z. B. die Strohhalme sah, die Du zuletzt zum Trinken benutzen musstest – solche banalen Sachen) mit überschäumender, transzendenter Freude abwechselten (z. B. auf der Autobahn, als ich Enya hörte.  Diese Musik ist für mich das perfekte Symbol für das Weibliche in all seinen Aspekten.

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Als ich Deine alten Ehebetten zersägte und aus Deinem mühsam zusammengesparten Schleiflack-Schlafzimmer ein kleines Tonstudio zimmerte, wuchsest Du über Dich selbst hinaus. Mir ist jetzt, als hättest Du da begonnen, Dich Stück für Stück von der Materie zu lösen. Später hast Du an kaum mehr als einem Paar “guter Schuhe”, einer Sonnenbrille und Mengen von Zeichenkarton festgehalten, Dingen, die Du schon lange nicht mehr benutzt hattest und nie mehr würdest benutzen können.

Als Schwesterchen anfing,  den vielen Kram um Dich herum wegzuräumen, als Du noch zu atmen schienst, war ich erst schockiert – ich dachte, da liegt sie doch noch wie lebendig (und war immer wieder fasziniert, wie genau ich dieser optischen Täuschung der Atembewegung an Deinem Kragen, am Rücken, in den Flanken erlag,) aber dann habe ich mitgemacht bei dem Aufräumen, es löste die Spannung, es war fast ein Genuss, alle Deine Medikamente, Krücken, umwickelten Bleistifte, Greifer, Magneten, Anfasser, Lampen, Befestigungen, Korsettchen, Halskrausen, den Klostuhl, die Bettpfanne, alle Kleinigkeiten, die Dir das mühsame, erlöschende Leben ein wenig erleichterten, zu beseitigen.

Und dann haben wir etwas getan, was Dich sicherlich freut, weil Du doch nie etwas wegwerfen mochtest: was vielleicht noch verwertbar war, haben wir auf die Straße gestellt, und denk Dir, das alles verschwand in Minuten. Irgendjemand hat jetzt Spaß an der seltsamen Lampe, dem wackligen Tischchen, mit dem nur Du so gut umgehen konntest. Ich hätte es hier nicht mehr sehen mögen, es hätte mich zu sehr an den schrecklichen Moment erinnert, als Du plötzlich da drüber hingst, mit der Nase in der Marmelade und mich riefst mit erstickter Stimme.

Mutter, war das nicht für uns beide der Moment, in dem wir wussten, jetzt fängt die schwierige Zeit an? Nein, Du hast das viel besser überstanden als ich. Du warst immer noch wie ein Kind, das wieder aufsteht und wieder lacht. “Es war trotz allem ein schöner Tag, und wenn es heute gut war, war es auch gestern gut und ist auch morgen gut.”

Aber ich war deprimiert von diesem Moment an. Ich habe danach keine Nacht mehr richtig geschlafen.

Auf den letzten Fotos, die ich von Dir machte, sieht man, wie Du Deine physische Welt immer mehr um Dich herum zusammenzogst, in Deine geliebte Zimmerecke hinein.

Inzwischen habe ich alles umgeräumt. Eigentlich wollte ich im Bücherschrank hinter Glas ein paar Dinge sammeln, die Dir etwas bedeuteten, aber außer Deinen Malereien habe ich ja gar nichts mehr gefunden! Du hattest alles längst verschenkt! Und was Du bis zuletzt gerne benutztest, das waren alles Geschenke von mir, die ich nun wieder zurückbekam. Und den süßen Igel, der bis zum letzten Moment Dein Knuddeltier war und den Du so gerne anschautest, den hattest Du von deinem Enkel geliehen und heute bekam auch er ihn zurück.

Mutter, Du besaßest nichts mehr und hast an nichts mehr gehangen! Nur auf das erste Vorausexemplar Deines Buches “Weil Leben Liebe ist” hast Du noch gewartet!

Weil_Leben_Liebe_ist (Nie-nie-sagen-Verlag)
So habe ich nur das Bild von Dir dort hineingestellt, das wir auch auf Deiner “Gedenkfeier” hatten (nach Deinem Wunsch ohne Grabreden und Trauerkleidung!) und das so schön zeigt, wer Du wirklich warst.

Ich verstehe erst jetzt, was Du alles eingefädelt hast, in diesem Jahr. Du hast in mir gesät und ich darf jetzt ernten.

Du weißt doch, ich hatte Angst, dass Dein Zimmer seine goldene Atmosphäre verlieren würde, die auch so viele andere in diesem Raum spürten, dass ich nicht mehr die Geborgenheit spüren würde, die Du ausstrahltest.

Denk Dir, diese Atmosphäre hat sich jetzt sogar verstärkt! Gestern sprenkelte die Sonne die Basttapeten, Deine Malereien erstrahlten wie durch Spots erleuchtet und ich konnte mich gar nicht sattsehen und -fühlen an dieser Geborgenheit.

Heute nacht habe ich von Dir geträumt: Ich war Baby und Du beugtest Dich über mich und Du hattest einen Angora-Pullover an und ich fühlte Deine Wärme und roch Deine Haut.

Übrigens: als sie Dich abgeholt hatten, roch ich an dem Fell, auf dem Du Dein letztes Jahr verbrachtest und es roch so gut wie an dem Tag, als ich es Dir schenkte!

Unglaublich, dass unter diesem schwarzen Leichentuch nichts zu sein schien, als die Träger an mir vorbeigingen! Ich meine das auch physisch, wie hast Du es nur geschafft, dieses Skelettchen von 25 Kilo noch zu irgend etwas zu benutzen? So lebhaft zu sprechen, Dich noch für meine Projekte und Deine Bilder zu begeistern, uns alle nicht merken zu lassen, dass es eigentlich schon lange Zeit für Dich war?
Margot Börner
Auf den Fotos, die ich vierzehn Tage vor Deiner großen Reise von Dir machte, sieht man ihn ganz deutlich: den Tod auf Deiner Schulter. Aber alle sagen das: Du hast es geschafft durch Deine Munterkeit, Deine Liebe, Deine positive Ausstrahlung, Dein Sterben vergessen zu machen, uns über den Tod hinwegsehen zu lassen!

Ach Mutter, wie Du da lagst, so friedlich, in dieser typischen Haltung, die Du immer einnahmst. Am Morgen sagtest Du noch, als ich fragte, ob Mani wirklich kommen solle, “Ja, sie soll kommen, ich kann ja dann so liegen. Und da lagst Du eben auch so. Ebenso unauffällig wie Du gelebt hast, bist Du auch gegangen. Wir merkten nichts, während wir am Computer saßen – Du verließest einfach Deinen Körper. Nur zwei Minuten, nachdem wir es bemerkt hatten, rief Mani an. Ich sagte ihr, sie solle nicht kommen und sie kam doch. Sie meinte, sie hatte das Gefühl, sie müsse kommen. Ja, das ist jetzt die Art, wie Du immer noch Deine Befehle gibst!

Ich musste jetzt einfach den Scanner kaufen, um Deine Malereien einscannen zu können, die nun auch auf CD erscheinen werden.

Überall hast Du Deine Hände im Spiel. Gestern abend musste ich eine Deiner Freundinnen trösten und ich tat es ausgiebigst. Muss ich Dein “Werk” jetzt hier weiterführen?

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Ich habe inzwischen mit Nathalie auf Deinem Bett gesessen, sie sagt, sie habe die ganze Nacht geweint – Du seist für sie wie eine Mutter gewesen, nein, ein Guru! (Sie erwähnte allerdings auch, dass die anderen Krankenschwestern in Dir nur eine “schwierige Patientin” sahen, die “einen ganz schön rumkommandierte,” Tja, ich lasse mich jetzt gerne von Dir rumkommandieren, denn alles was ich tue, gelingt plötzlich. Das Leben ist wunderbar. Alles scheint ineinanderzugreifen, so wie es mal war, als ich noch bei Osho war.

Ich bin stolz auf meine “Connection” im Himmel, Mutter!

Die Todesanzeige, die wir zusammen am Computer entwarfen, wurde anstandslos, trotz der ungewöhnlichen Schrift, akzeptiert, aber weißt Du wo sie erschien? Unter “Danksagungen”. Der Setzer hat wohl Deinen Spruch gelesen: “Ich danke allen, die mir ihre Liebe gegeben haben,” und plazierte das halt nicht auf der Seite der Todesanzeigen. Mutter, ich danke Dir auch. Ich danke für das wunderbare Jahr, das wir zusammen verlebten, für die Anregungen, Ratschläge, für die Gespräche, die Menschen, die Dich besuchten.

Ich entdecke etwas in mir, eine Instanz, Eigenschaften, die von Dir sind. Hast Du mir etwas vererbt, das ich bisher nicht sehen konnte? Ist etwas von Dir jetzt in mich übergegangen? Lebt ein Teil von Dir in mir weiter? Oder kann ich jetzt etwas besser zulassen, was schon immer in mir war, das ich aber aus Rebellion, nicht so sein zu wollen wie Du, verdrängte, nicht zeigen wollte?

Erst jetzt habe ich bemerkt, wie ähnlich wiMutter_und_Sohnr uns als Kinder sahen. Links Du, rechts ich im gleichen Alter.

Ich habe gestern alte Fotoalben durchgeblättert und einmal mehr entdeckt, was für ein süßes, ernstes, liebliches Traummädchen Du warst.

Und irgendwie hast Du es geschafft, Dir das bis zum Schluss zu bewahren, Du hast Dich nie wirklich geändert!

Viele haben mir das bestätigt, besonders Deine beste Freundin seit Kindertagen.

Margot_jung Objektiv betrachtet warst Du natürlich erschreckend naiv, bis an die Grenze der Dummheit. Du konntest niemals glauben, dass jemand Dich ausnutzen oder auch nur nicht verstehen könnte. Das schützte Dich nicht nur vor missgünstigen Menschen, es machte auch Viele weich und wirklich gut in Deiner Gegenwart. Ein paar Leute hier, die ich für ein wenig zwielichtig halte, kriegen noch immer diesen kindlichen Blick, wenn sie von Dir schwärmen, und sagen: “Für Margot hätte ich alles getan. Ihr Leben war vorbildlich”. Irgendwie hast Du sie verzaubert, dass sie nichts Böses denken können. Ich beneide Dich um diese Gutgläubigkeit, diese Fähigkeit, Harmonie zu erzeugen. Du glaubtest so fest an das Gute im Menschen, dass dieses Gute in Deiner Umgebung zur Realität wurde. Immer wenn ich Dich auf die himmelschreiende Diskrepanz zu den täglichen Nachrichten ansprach, zu den Zuständen in dieser Welt, dann führtest Du das darauf zurück, dass die “Anderen” eben nicht Deine Einstellung hatten. War das etwa nicht naiv – oder hattest Du wirklich Recht? Wäre das wirklich der einzige Weg – etwas zu verändern, indem der Einzelne sich ändert? Aber das zu predigen hat ja keinen Sinn, denn das ist ja kein “Sichändern”, sondern ein “Beeinflussenwollen”, man will dann ja nur den Anderen ändern, und nicht sich selbst.

Nein, Du wolltest niemanden ändern, Du hast einfach etwas vorgelebt.

Ich muss jetzt lächeln, weil so manches an Dir ja doch etwas verschroben war.

Erst jetzt merke ich, wie viele Täschchen, Schächtelchen, Tüchlein, Kartönchen, Bändchen, Hüllen mit Zettelchen, Bildchen, Feuchttüchlein, Kämme, Bürsten, Lederreste und Scheren Du wirklich gesammelt hast...

Einige Deiner Hüllen und Kästchen trugen gar die Aufschrift “leer”.

Und diese gewissen Ähnlichkeiten zwischen uns werden mir auch erst jetzt bewusst – Disketten und Bildchen, Schrauben und Tüchlein, Tonbänder und Scheren unterscheiden sich letztlich nur durch den Wert, den sein Besitzer ihnen beimisst. Meine leeren Disketten nenne ich ja auch “leer”.

Margot2Aber wirklich wichtig waren Dir nur Deine Bilder und dass sie weiterleben und ich schwöre Dir, sie werden weiterleben. Als digitale Geistesblitze werden sie um die Welt wandern und unauslöschlich auf Silberscheiben eingraviert und auferstehen auf Bildschirmen und in den Köpfen Dein Werk vollenden.

Während ich die Bilder für unser CD-Projekt aus den vielen Hunderten von Schachteln und Alben heraussuche, wird mir erst klar, was Deine kleinen Malereien auszeichnet: Man sieht sich nur selbst darin. Wie könnte ich sonst dieses Bild heute gut finden und morgen schlecht, wieso sehe ich heute in jenem Bild Gott und morgen eine Fratze?

In unserem letzten Interview sagtest Du: “Meine Grundidee bei diesen Bildern war: Ich möchte Freude bereiten. Aber es sind Bilder, in denen jeder Mensch etwas sieht, was nur er sieht. Jeder ist anders und jeder kann nur erkennen, was auch in ihm ist.”

Auf dem Umschlag eines Deiner Tagebücher entdeckte ich (dick umrandet):

“Mein sind die Jahre nicht,
die mir die Zeit genommen
mein sind die Jahre nicht,
die etwa möchten kommen;
Der Augenblick ist mein,
und nehm ich den in acht,
so ist DER mein,
der Jahr’ und Ewigkeit gemacht.”

Mutter, ich kann noch so viel von Dir lernen...

Dein Dich liebender Sohn
Weil_Leben_Liebe_ist (Nie-nie-sagen-Verlag)

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PS. Jeder Teilnehmer meiner Seminare erhält am Schluss ein Original von meiner Mutter Margot Boerner.

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